Projekt Titlis–Brandschutz auf über 3000 m

Luca Dressino | 1. Juni 2024

Die Brandschutzplanung im Hochgebirge erfordert eine schutzzielorientierte Konzeption, da die Brandschutzgesetzgebung mit ihren Standardmassnahmen nicht darauf ausgelegt ist.

Der 3000 m hohe Gipfel Titlis in Engelberg, Schweiz ist ein bekanntes Ausflugsziel für nationale und internationale Gäste. Das Erlebnis Hochgebirge und Gletscher zieht jährlich Tausende von Besuchern an. Wandern, Skifahren und Biken sind feste Bestandteile des Tourismus in der Region, doch das touristische Erlebnis „Titlis“ soll in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden.

Vor diesem Hintergrund hat die Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis AG als Eigentümer und Bauherr zusammen mit den Architekten Herzog & de Meuron im Jahr 2017 das Projekt Titlis lanciert. Allen Beteiligten war von Anfang an bewusst, dass die Brandschutzplanung auf über 3000 m ein zentrales Thema des Projektes sein würde.

Projekt Titlis
Das Projekt besteht aus dem Titlis-Turm, der bestehenden Bergstation und der neuen Bergstation der Gondelbahn «Linie II». Der 50 m hohe Funkturm, der in den 1960er Jahren zu Kommunikationszwecken errichtet wurde, ist seit einigen Jahren im Besitz der Titlis Bergbahnen und soll bis Ende 2026 zu einem Erlebnisrestaurant und einer Bar umgebaut werden. Die touristische Erschliessung erfolgt dabei über die bestehende Gondelbahn «Rotair» und deren Bergstation Titlis. Im Rahmen des Projekts  wird auch die bestehende Bergstation fast bis auf den Kern abgebrochen und bis 2028 neu aufgebaut mit dem Ziel, das Gästeerlebnis und die Sicherheit am Berg zu erhöhen. Schliesslich können sich zeitweise mehr als tausend Menschen auf dem Berg aufhalten. Als eine der ersten Massnahmen für die Sicherheit, die Business Continuity und die Baulogistik wurde eine weitere Gondelbahn geplant, um eine Redundanz zur bestehenden Rotair zu schaffen. Die Teilprojekte Titlis-Turm, Bergstation «Rotair» und Bergstation «Linie II» bilden somit das Gesamtprojekt Titlis, verbunden durch teils bestehende, teils neue unterirdische Stollensysteme.

Der vorliegende Artikel fasst die Konzeption des Projektes Titlis Turm zusammen.
Abbildung 1: Visualisierung der Teilprojekte (Turm, Bergstation, Linie II)

Herausforderungen
Mit Beginn der Planung im Jahr 2017 war allen Beteiligten im Planungsteam klar, dass die Brandschutzplanung risiko- und schutzzielorientiert erfolgen muss. Zwar können alle Teilprojekte nach der schweizerischen Brandschutzgesetzgebung „VKF“ beurteilt und auch mit Standardmassnahmen bemessen werden, aber ohne die schutzzielorientierte Betrachtung wäre die gestalterische Freiheit des Architekten eingeschränkt und die Kosten für den Umbau der Projekte wären explodiert. Daher bestand die erste konkrete Herausforderung darin, zu prüfen, welche Standardmassnahmen für die Teilprojekte umgesetzt werden können und welche einer vertieften Betrachtung bedürfen. Dabei wurden immer auch die einzuhaltenden Schutzziele „Personensicherheit“, „Interventionsschutz“, „Gebäudeschutz“ und „Business Continuity“ betrachtet. Aus dieser ersten Betrachtung heraus entstand bereits in einem sehr frühen Projektstadium der Dialog mit der Brandschutzbehörde.

Als zweite elementare Herausforderung sind die eingeschränkten Einsatzmöglichkeiten der Feuerwehren zu berücksichtigen. Mit einer Eintreffzeit von teilweise bis zu einer Stunde und den möglichen Witterungsbedingungen auf 3000 m sind viele Standardmassnahmen gemäss der Gesetzgebung in Frage zu stellen. Aus dieser Erkenntnis heraus und im Dialog mit der Brandschutzbehörde und der Feuerwehr war allen Beteiligten klar, dass die Selbstrettung der mehreren tausend Menschen auf dem Berg in jedem Fall funktionieren muss.
Daraus ergab sich die dritte Herausforderung, nämlich die Menschen an einen sicheren Ort ins Freie zu bringen. Bei Projekten in städtischen oder ländlichen Gebieten endet die Sichtweise des Brandschutzplaners auf der öffentlichen Verkehrsfläche, da man sich dort an einem sicheren Ort im Freien befindet. Der Bezugspunkt für eine sichere Evakuierung muss jedoch auf 3000 m genau festgelegt werden. Im Hochwinter bei starkem Schneefall und Sturm ist die Skipiste kein sicherer Ort im Freien für mehrere hundert bis tausend Personen.

Projektbeschreibung und Abmessung
Der 50 m hohe Turm lässt sich vertikal in zwei Bereiche unterteilen. Der untere Sockelbereich ist ein achteckiger Stahlbetonkern mit den Abmessungen von ca. 14 m x 19 m. Um diesen herum sind vier rahmenartige Einzeltürme aus Stahlfachwerk angeordnet. Der obere Bereich wird durch zwei übereinanderliegende Fachwerkkassetten erweitert. Die untere Box, die als Bar genutzt werden soll hat die Abmessungen von ca. 7,5 m x 42 m, die obere Box (Restaurant) hat die Abmessungen von ca. 12 m x 36 m. Daraus ergeben sich Geschossflächen zwischen ca. 315 m2 und 432 m². Insgesamt umfasst das Objekt nach dem Umbau 11 Geschosse mit unterschiedlichen Nutzungen.

Die Abbildung 2 und Abbildung 3 zeigt die Struktur des geplanten Umbaus vor und nach dem Umbau.
Abbildung 2: Turm im aktuellen Zustand
Abbildung 3: Visualisierung des geplanten Projektes Turm Titlis

Situation und Zugänglichkeit
Das Gebäude befindet sich in exponierter Lage im Alpenraum auf dem Gipfel des Titlis (ca. 3000 m ü. M.). Die Bergstation Klein Titlis ist mit der Gondelbahn Titlis Xpress und der Luftseilbahn «Rotair» von Engelberg aus erreichbar.
Die Abbildung 4 zeigen die Lage und Zugänglichkeit der Station und des Turms.
Abbildung 4: Situationsplan Anfahrt Klein Titlis
Der Zugang zum Turm erfolgt entweder direkt von der Bergstation über den Gletscher oder unterirdisch über einen Stollen. Die Entfernung von der Station bis zum Lift im Stollen mit Anbindung an die Lobby beträgt ca. 190 m. Alternativ erfolgt die Erschliessung der Lobby von der Bergstation über eine planierte Piste (Entfernung ca. 160 m). Zusätzlich können die Bergstation und der Turm mit dem Hubschrauber angeflogen werden.
Die innere Erschliessung des Turmes erfolgt über zwei neue Fluchttreppenhäuser, eine bestehende Wendeltreppe sowie fünf Aufzugsanlagen. Das Erschliessungskonzept sieht vor, dass die Personen entweder mit dem Aufzug vom Stollen in die Lobby fahren oder direkt von der Piste in die Lobby gelangen. Von dort können die Personen über die neuen aussenliegenden Panoramalifte zur Aussichtsterrasse, zum Restaurant oder zur Bar gelangen.
Abbildung 5: Ansicht Turm Titlis

Personenbelegung und baurechtliche Einordnung
Die maximale Personenbelegung in den öffentlich zugänglichen Bereichen beträgt 770 Personen. Die Kontrolle der maximalen Personenbelegung erfolgt über Drehkreuze in der Lobby am Ein- und Ausgang. Die Personenströme werden voneinander getrennt.
Neben den Besuchern arbeiten während der Betriebszeiten der Seilbahnen ca. 20 Personen im Turm.
Die Gesamthöhe beträgt ca. 53 m. In Abstimmung mit der Behörde sowie der VKF-BSN Art. 13 [1] wurde festgelegt, dass das Gebäude als Hochhaus einzustufen ist. Diese Einstufung galt bereits für den Bestand, da die bestehende Struktur in der Höhe nicht verändert wird.
Mit dieser Einstufung ergab sich bereits früh die erste Herausforderung, da die notwendigen Massnahmen, welche die VKF an ein Hochhaus stellt, im Bestand nicht umgesetzt waren. Dadurch ist der nachfolgende Konzeptansatz entstanden.

Konzeptansatz
Die schweizerische Brandschutzgesetzgebung unterscheidet in der Brandschutznorm [1] drei Arten von Konzepten.
- Artikel 10 der Brandschutznorm: Bei Standardkonzepten werden die Schutzziele mit den vorgeschriebenen Massnahmen erreicht.  
- Artikel 11 der Brandschutznorm: Im Rahmen von Standardkonzepten können alternative Brandschutzmassnahmen als Einzellösungen vorgeschriebene Brandschutzmassnahmen ersetzen, sofern die Schutzziele für das Einzelobjekt gleichwertig erreicht werden. Über die Gleichwertigkeit entscheidet die Brandschutzbehörde.
- Artikel 12 der Brandschutznorm: Ergänzend oder alternativ ist die Anwendung von Nachweisverfahren im Brandschutz zur Beurteilung der Brandgefahr, des Brandrisikos oder zum Nachweis konzeptioneller Ansätze zur Erfüllung der Schutzziele der Brandschutznorm und zur ganzheitlichen Betrachtung zulässig.

In Absprache mit der Behörde wurde vereinbart, dass das Gebäude, wo sinnvoll und möglich, in vielen Bereichen unter Berücksichtigung der baurechtlichen Einstufung nach einem Standardkonzept gemäss der VKF -Brandschutznorm [1] geplant wird. Die umzusetzenden Massnahmen sind gesamtschweizerisch anerkannt und erfüllen die definierten Mindestschutzziele. Unter Berücksichtigung der exponierten Lage wurden jedoch gleichzeitig alternative Brandschutzmassnahmen gemäss Art. 11 bzw. 12 der VKF-Brandschutznorm [1] zur optimalen Erreichung der Schutzziele geplant. Da es sich gemäss baurechtlicher Einstufung um ein Hochhaus handelt, müssten zahlreiche Massnahmen umgesetzt werden, die primär dem Schutz der Einsatzkräfte dienen (z.B. Feuerwehraufzug). In Abstimmung mit der Behörde konnte vereinbart werden, dass auf Massnahmen, die aufgrund der exponierten Lage und der Einsatzmöglichkeiten der Feuerwehr nur schwer realisierbar sind, verzichtet werden kann, solange die Personensicherheit für die Selbstrettungsphase gewährleistet ist.
Dieses Schutzziel wird primär durch bauliche Massnahmen (Anzahl der Fluchtwege, ausreichende Breite, Brandabschnitte, etc.) erreicht. Darüber hinaus wurden bestmögliche Voraussetzungen für eine Erstintervention durch die Gebäudenutzer geschaffen (mehr Feuerlöscher als gesetzlich notwendig). Zusätzlich wird ein Löschanlagenvollschutz im Gebäude geplant. Durch diese Massnahme soll auch die lange Anfahrtszeit der Feuerwehr kompensiert werden.
Die Brandabschnittsbildung innerhalb des Gebäudes wird, gemäss dem Standardkonzept Art 10 der VKF-Brandschutznorm [1], in den Geschossen über und unter Terrain in mind. EI 60-RF1 mit Brandschutzabschlüssen in der Qualität EI 30 ausgeführt. Der erforderliche Schutz eines Brandüberschlags bei Einordnung als Hochhaus wird in den Sockelgeschossen durch die aussenliegenden Betonwände gewährleistet. In den neu erstellten Obergeschossen (Toiletten, Bar, Lüftungszentrale, Restaurant) wird der Brandüberschlag über die auskragenden Geschossdecken mit der Anforderung EI 60-RF1 sowie durch den Sprinklerschutz abgegolten.
Die beiden Fluchttreppenhäuser sind als geschlossene, vollverglaste Treppenhauskonstruktionen ausgeführt, die über brandlastfreie Schleusen erschlossen werden. Die vertikalen Fluchtwege münden in die Lobby, von der aus ein Zugang zum Gletscher besteht. Alternativ ist der Zugang zur Lobby über eine bestehende Wendeltreppe möglich. Gemäss der VKF-BSR "Begriffe und Definitionen" [2] ist ein sicherer Ort im Freien gegeben, wenn sich Personen dort aufhalten können, ohne durch das Brandgeschehen oder andere Gefahren beeinträchtigt zu werden. Aufgrund der exponierten Lage ist im Freien mit alpinen Gefahren wie Sturm, Kälte, Nebel etc. zu rechnen. In Abstimmung mit der Behörde wurde daher festgelegt, dass die Konzeption der Gebäudeevakuierung auf diesen beiden Gefährdungslagen basieren muss:
1.Brandfall
2.alpine Gefahren in Kombination mit einem Brandereignis
Für den Evakuierungsfall ist eine dynamische Fluchtwegführung vorgesehen, die organisatorisch durch Evakuierungshelfer und technisch durch eine Sprachalarmierungsanlage sichergestellt wird. Im Fall 1 besteht keine alpine Gefährdung. Im Brandfall können die Besucher das Gebäude über die Fluchttreppen verlassen und über die präparierte Piste zur Bergstation gelangen.
Abbildung 6: Evakuierung keine alpine Gefahr - Entfluchtung via Lobby nach draussen zum Sammelplatz bei der Bergstation «Rotair»
Im Fall 2 liegen alpine Gefahren vor, die eine Evakuierung über das Freie verhindern. Laut Rückmeldung des Betreibers ist die grösste alpine Gefahr ein Gewitter mit akuter Blitzgefahr. Bei alpinen Gefahren in Kombination mit einem Brandereignis führt die dynamische Fluchtwegführung die Besucher über die Fluchttreppen direkt in die Lobby. Von dort gelangen die Personen über die bestehende Wendeltreppe in den unterirdischen Stollen, der als brandlastfreier Fluchtweg ausgebildet ist und zur Bergstation führt.
Abbildung 7: Fluchtweg von der Lobby im Turm über den Bergstollen zur sicheren Bergstation.
Im Bereich des technischen Brandschutzes wird eine Brandmeldeanlage mit Vollüberwachung sowie eine Sicherheitsstromversorgung und Blitzschutzanlage für das gesamte Gebäude realisiert. Ausgelöste Alarme der Brandmeldeanlage werden automatisch an die werkseigene Alarmzentrale in der Bergstation sowie an die Rezeption im Turm und an die Feuerwehr Engelberg weitergeleitet.
Zusätzlich ist im gesamten Turm eine Sprinkleranlage installiert. Zur Rauchfreihaltung der Fluchtwege während der Selbstrettung wird eine Spüllüftung mit geregelter Druckhaltung in Anlehnung an die VDMA 24188 [3] und VKF-BSR "Rauch- und Wärmeabzugsanlagen" [4] vorgesehen.
Für die Einsatzkräfte werden in Abstimmung mit der Behörde drei Wandhydranten vorgehalten. Unter Berücksichtigung der erschwerten Bedingungen und des primären Schutzzieles der Selbstrettung wird in Abstimmung mit der Behörde das Mindestmass für die Interventionskräfte mit dem Löschanlagenschutz sowie den neu geplanten Löscheinrichtungen für die Feuerwehr umgesetzt.

Nachweisverfahren
Eine wesentliche Abweichung der Bestandssituation von den Anforderungen an ein Hochhaus besteht in der Feuerwiderstandsqualität der bestehenden Tragkonstruktion. Gemäss der VKF-BSR "Brandschutzabstände Tragwerke Brandabschnitte" [5] muss das bestehende Tragwerk unter Berücksichtigung des geplanten Sprinklerschutzes auf die Qualität R 60 ertüchtigt werden.
Eine Ertüchtigung der bestehenden offenen Stahlkonstruktion, die im Bestand brandschutztechnisch nicht geschützt war, auf R 60 wäre aus Sicht des Projektteams nicht verhältnismässig. Mit Hilfe von Brand- und Evakuierungssimulationen sowie einer Heissbemessung des Tragwerks wurde nachgewiesen, dass das Gebäude in der Selbstrettungsphase bei zwei spezifischen Brandszenarien, die in Bezug auf die Gebäudenutzung die kritischen Brandszenarien darstellen, nicht versagt.
Um die Dauer der Selbstrettungsphase bestimmen zu können, wurde die Evakuierung der Besuchergeschosse Aussichtsplattform, Restaurant und Bar im Turm Titlis mittels Personenstromanalyse für die massgebenden Szenarien mit und ohne alpine Gefahr untersucht. Die Personenverteilung im Gebäude wurde mit der Bauherrschaft definiert und ist auf die vorhandenen Ausgangsbreiten und Treppenhausbreiten abgestimmt – siehe Tabelle 1:
Tabelle 1: Maximale Personenbelegung
Geschoss                               Ausgangsbreite                      Personenbelegung
10 - Aussichtsplattform       2 Türen à 1.2 m                      240 Personen (bei aufkommender alpiner Gefahr wird die Aussichtsplattform gesperrt)
08 - Restaurant                      2 Türen à 1.2 m                      230 Personen + 10 Personen Personal
06 - Bar                                    2 Türen à 1.2 m                      230 Personen + 10 Personen Personal
Gesamtbelegung ohne alpine Gefahr                                  ca. 720 Personen
Gesamtbelegung mit alpine Gefahr                                     ca. 480 Personen

Das erste Szenario behandelt einen Brandfall in der Bar oder dem Restaurant ohne gleichzeitige alpine Gefahren. Die im Gebäude befindlichen Personen können somit nach Erreichen der Lobby in Richtung Gletscher evakuiert werden. Die Simulationen haben gezeigt, dass nach maximal 17 Minuten nach Brandausbruch (3 Minuten Premovement-Zeit und 14 Minuten Fluchtzeit) alle Personen das Gebäude verlassen haben.
Abbildung 8: Rechenfall keine alpine Gefahr, Personenverteilung im Gebäude zum Zeitpunkt 600 Sekunden – alle Besucher sind in den Fluchtwegen.
Das zweite Szenario behandelt einen Brandfall in der Bar oder dem Restaurant bei gleichzeitiger alpiner Gefahr, so dass zum Zeitpunkt des Brandausbruchs die Aussichtsplattform für Besucher gesperrt ist. Die im Gebäude befindlichen Personen können in diesem Fall nicht in Richtung Gletscher evakuiert werden, sondern verlassen den Turm über den Stollen in Richtung Bergstation. In diesem Szenario beträgt die Evakuierungszeit in den Simulationen max. 27 Minuten ab Brandausbruch (3 Minuten Premovement-Zeit und 24 Minuten Fluchtzeit).
Abbildung 9: Rechenfall alpine Gefahr, Personenverteilung im Gebäude zum Zeitpunkt 0 Sekunden.
Unter Berücksichtigung der Evakuierungszeiten sowie eines Sicherheitspuffers ist somit festzustellen, dass das Tragwerk dem definierten Brand mindestens 30 Minuten standhalten muss.
Die Beurteilung des Stahltragwerks erfolgte nach dem allgemeinen Rechenverfahren auf der Grundlage einer thermischen und mechanischen Analyse gemäss den Anforderungen der Eurocodes (EN1991-1-2) [6] und (EN1993-1-2) [7] einschliesslich der zugehörigen nationalen Anwendungsdokumente.
Die Brandraumtemperaturen wurden mit einem CFD-Modell (siehe Abbildung 10) über die Brandeinwirkungsdauer berechnet.
Abbildung 10: Visualisierung des Modells inkl. des Rechennetzes für die Brandsimulation
Das zugrunde gelegte Brandszenario wurde gemeinsam mit der Behörde und einem Prüfsachverständigen festgelegt und mit den Anforderungen des Eigentümers abgestimmt. Es wurde ein Brand im Bargeschoss und ein Brand im Restaurantgeschoss untersucht.
Ca. 180 s nach Brandausbruch bersten die ersten Fenster in der Mitte des Raumes, so dass die Rauchgase aus dem Barbereich austreten und entlang der Fassade nach oben strömen (vgl. Abbildung 11). Dabei wird der Boden des Restaurants unterströmt. In der nachfolgenden Zeit bersten zunehmend Fenster von der Mitte zu den Enden des Raumes hin, wodurch Heissgase auch direkt an den vertikalen Strukturen entlang hinauf strömen. Zunehmende Bereiche werden Temperaturen über 350 °C ausgesetzt (vgl. Abbildung 11).
Abbildung 11: Brandbereich in der Bar und Rauchausbreitung 900 s nach Brandbeginn, rechts: Gastemperaturen zum gleichen Zeitpunkt.
Nach der Bestimmung der Oberflächentemperaturen wurde im Rahmen der Heissbemessung die thermische und mechanische Analyse der Tragkonstruktion durchgeführt. In der Abbildung 12 sind die vertikalen Verformungen nach 3330 Sekunden Brandeinfluss abgebildet.
Abbildung 12: Vertikale Verformung (z-Richtung) zum Ende des Brandverlaufes, Darstellung ohne Überhöhung der Verformungen
Gemeinsam mit dem Bauingenieur und einem externen Prüfsachverständigen wurden die Simulationsergebnisse ausgewertet und es konnte nachgewiesen werden, dass ein Versagen der Stahlkonstruktion während der Selbstrettungsphase unter den vorgegebenen Randbedingungen ausgeschlossen werden kann.

Fazit
Durch die Anwendung von Nachweisverfahren konnte in Abstimmung mit der Behörde ein schutzzielorientiertes Brandschutzkonzept erarbeitet werden, das den Herausforderungen der Bestandssituation und der Bebauung über 3000 m gerecht wird und die Gleichwertigkeit der definierten Schutzziele sicherstellt.
Dies bedeutet auch, dass sich alle im Projektteam und seitens der Behörde einig sind, dass die Umsetzung aller gesetzlichen Standardmassnahmen bei einem so speziellen Projekt nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist. Umso wichtiger ist es, gezielt Massnahmen zu definieren, die ein ausreichendes Schutzniveau gewährleisten und die Selbstrettung unterstützen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Feuertrutz Magazin 01.24 publiziert.



Autor Luca Dressino
Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft; Leiter Business Unit Brandschutz, Bauphysik Nordwestschweiz bei der Gruner AG; umfassende Erfahrungen in der ganzheitlichen Brandschutzberatung sowie als Gesamtprojektleiter diverser Grossbau Projekte; seit 2016 Dozent im Rahmen der VKF-Expertenausbildung; bei Gruner AG Koordinator für das Thema BIM Brandschutz in der Schweiz